Freitag, 2. Juni 2017

Pro Ana


Du wirst immer fett und nie so schön wie sie sein. Wenn du in den Spiegel schaust, werde ich dir das Bild verzerren. Ich werde dir Fettleibigkeit und Scheußlichkeit zeigen. Ich werde dir einen Sumo-Ringer zeigen, wo in Wirklichkeit ein hungerndes Kind ist. Aber du musst das glauben, denn wenn du die Wahrheit kennen würdest, könntest du wieder anfangen zu essen und unsere Beziehung würde zerbrechen....

Wenn du dich entscheidest gegen mich zu kämpfen, jemanden zu erreichen und ihm zu erzählen, was ich aus deinem Leben mache, wird alles zusammen brechen! Niemand darf es erfahren, niemand kann die Schale brechen, mit der ich dich bedeckt habe. Ich habe dieses dünne, perfekte, beneidenswerte Kind geschaffen. Du bist mein, nur mein. Ohne mich bist du nichts. Also kämpfe nicht gegen mich! Wenn andere Bemerkungen machen, ignoriere sie. Beschleunige dein Tempo, vergiss sie, vergiss alle, die versuchen mich von dir weg zubekommen. Ich bin dein größter Gewinn und ich habe vor sie von dir fern zu halten.
In Liebe,
Ana

Dies sind zwei Auszüge aus dem ersten Brief von Ana, welchen ich auf einem Pro Ana Blog im Internet gefunden habe. Pro Ana ist eine Bewegung von meist jungen Frauen und Mädchen. Diese Mädchen leiden unter einer Esstörung, sie sind sich ihrer Krankheit bewusst und sind stolz auf sie. Diese Mädchen sehen die Krankheiten Anorexia nervosa (Magersucht) und Bulimia nervosa ( Ess-Brechsucht) als Lifestyle, eine Wahl die sie getroffen haben, um „endlich“ hübsch zu sein. Sie nennen sich selbst Anas, benannt nach ihrer Krankheit. Anas pushen sich vor allem in sozialen Netzwerken du speziell dafür angelegten Blogs dazu immer mehr abzunehmen.
Magersucht ist eine ernstzunehmende Krankheit, die ohne psychologische Hilfe sogar zum Tod führen kann. Durch ein gestörtes Selbstwahrnehmungsvermögen, sehen sich die Betroffenen meist viel „dicker“ als sie es eigentlich sind. Manche Magersüchtigen leben nach den Briefen von Ana, Briefe der Krankheit an sie selbst. In diesen Briefen wird den Mädchen gesagt wie „schlecht“ sie wirklich sind, was sie alles tun müssen und was verboten ist. Es wird sogar dazu aufgefordert sich niemandem anzuvertrauen: „Deine Freunde verstehen dich nicht. Sie sind nicht ehrlich. […] Nur ich sage dir die Wahrheit. Deine Eltern…lass uns nicht so weit gehen! […] Ich werde dir jetzt ein Geheimnis verraten: Tief im inneren sind sie von dir enttäuscht.“ Durch Selbstzweifel und Selbsthass fangen einige Mädchen an das, was in diesen Briefen steht zu glauben und sich dann immer mehr zurückzuziehen. Jedoch steht Magersucht für Mädchen der Pro Ana Bewegung für Macht und Kontrolle über den eigenen Körper.



Im Internet gibt es allerhand Tipps und Tricks wie man sich am besten aushungert, welche Ausreden man in alltäglichen Situationen verwenden kann, welche Tabletten man schlucken muss um schöne Nägel und Haare zu erhalten und wie man nach 72 Stunden fasten am wenigsten Kalorien aufnimmt. Es gibt kurze Motivationstexte, Regeln um ein „schönes Mädchen“ zu sein und Bilder von viel zu dünnen Frauen. All das wird nahezu vergöttert, das Idealbild eines dürren, zerbrechlichen Mädchens entsteht. Die gesundheitlichen Risiken sind den meisten egal, Hauptsache, man ist hübsch.
Von vielen der Pro Ana Bewegung wird Magersucht als extremes Schlankheitsideal gesehen, egal wie viel man schon abgenommen hat, es müssen immer mehr Kilos runter. Wenn man dann bei 1.70 Metern nur noch 44 Kilo wiegt ist das immer noch zu viel. Der Körper wird immer schwächer und trotzdem  muss noch mehr als eine Stunde pro Tag Sport gemacht werden, sonst ist man keine „echte Ana“.
Oft wird bis zu 72h gefastet, hierbei sind nur Getränke mit niedriger Kalorienzahl oder Kaffee mit Süßungsmitteln erlaubt, um das Verlangen nach Essen zu stillen. Danach nehmen die meisten bestimmte Tabletten zu sich, um die Kalorienaufnahme zu vermindern, denn nach dem Fasten speichert der Körper alles, was er danach zu sich nimmt als Fettreserve ein. Dem Körper wird durch die vielen Stunden ohne Essen nämlich signalisiert, dass Essen gerade knapp ist.
Bilder von Frauen, die so dünne Beine haben, dass man sich wundert, dass sie überhaupt noch stehen können werden im Internet unter dem #thinspiration geteilt. Es kommt nicht selten vor, dass unter dem Bild eines beängstigend dünnen Mädchens Dinge wie „Tut mir leid, dass ich so fett bin“, „Ich habe schon wieder zugenommen“ oder „Ich muss endlich mal abnehmen“ stehen.
Viele Frauen und Mädchen hungern sich selbst aus um einen Tigh Gap zu bekommen- eine Lücke zwischen den Beinen. Im Internet kursieren viele Bilder von jungen Frauen mit Oberschenkellücke, dabei ist es ganz normal, dort keine Lücke zu haben, im Gegenteil, versucht man die dort liegenden Reserven loszuwerden so ist dies gesundheitlich bedenklich. Schon kleine Mädchen sehen dürre Models auf Laufstegen und fühlen sich schlecht, wenn sie sehen, dass sie nicht so dünn sind wie sie. Die Models müssen täglich einem strengen Essensplan folgen um nicht „zu dick“ zu werden, so passiert es, dass viele Models in die Magersucht getrieben werden, aus Angst ihren Job zu verlieren.
Eigentlich wurde schon vor einigen Jahren, von der deutschen Textil- und Modeindustrie eine Vereinbarung unterschrieben, in der es hieß, sie würden keine mageren Models mehr auf den Laufstegen einsetzen. Dennoch hat sich aktuell noch nicht wirklich etwas verändert. Länder wie Israel hingegen haben gesetzlich festgelegt, dass ein Model mit einem BMI unter 18,5 nicht mehr arbeiten darf, dem Arbeitgeber muss alle drei Monate ein Attest vorgelegt werden. Stardesigner wie Karl Lagerfeld lassen immer noch dürre Models über den Laufsteg laufen, denn laut ihm möchte niemand „dicke“ Models sehen.
Man sollte sich fragen, ob man nur um „schön“ zu sein, solche gewaltigen Risiken auf sich nehmen will. Will man wirklich so aussehen? Was hat man davon, wenn man jeden Tag leidet um schön zu sein? Ist es überhaupt schon, so dünn zu sein?
Jeder definiert Schönheit anders und nur, weil der aktuelle Trend „je dünner, desto schöner“ lautet, muss man dem doch nicht nacheifern und sich selbst kaputt machen

- Nellow 




1 Kommentar:

  1. Ich finde den Text sehr gelungen. Schön, dass Du auch auf die Modeindustrie eingegangen bist, welche bei diesem Thema ja doch eine wichtige Rolle spielt. Alles in allem ein guter Text :) (K)

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